Vor der Jahrtausendwende begegneten einem professionelle Food-Fotos fast ausschließlich in Kochbüchern und kulinarischen Journalen. Als dann im Laufe der frühen 2000er-Jahre die Food-Blogging-Welle aus den USA nach Deutschland herüberschwappte, wurde die Food-Fotografie mehr und mehr zu einem Betätigungsfeld von ambitionierten Hobbyköchen. Inzwischen haben Food-Fotos ein eigenes Social-Media-Genre etabliert.
Erfolgreiche Food-Blogger sind erstaunliche Multitalente: Sie sind kreative Köche, Food-Stylisten, Set-Designer, Fotografen und Bildbearbeiter in einer Person. Wer noch Schwächen in den vier letztgenannten Disziplinen hat, dem sei Corinna Gissemanns Buch Food-Fotografie. Leckere Bildrezepte für Einsteiger empfohlen. Die Autorin ist Autodidaktin und hat ihre Wurzeln in der Stock-Fotografie.
Gleich zu Beginn stellt Gissemann klar, dass man ihrem Buch zwar auch mit einem Smartphone folgen kann, dass man dann aber auch nicht allzu hohe Ansprüche an die eigenen Fotos stellen darf. Kenntnisreich vermittelt sie dem Leser im ersten Kapitel die Vorteile einer Kamera mit Wechselobjektiven, demonstriert die Effekte verschiedener Brennweiten auf die fotografische Abbildung eines Motivs und erklärt, warum Stativ, Fernauslöser und Graukarte unverzichtbare Arbeitsmittel des Food-Fotografen sind.
Geübte Fotografen dürfen das zweite Kapitel zum Belichtungsdreieck und zum Weißabgleich getrost überspringen, Anfängern kann es jedoch die Scheu vor dem manuellen Kameramodus nehmen. Auf verständliche Weise erläutert die Autorin das Zusammenspiel von Blende, Belichtungszeit und ISO-Wert und verdeutlicht, wie wichtig die Verteilung von Schärfe und Unschärfe für die ästhetische Wirkung von Food-Fotos ist. Das dritte Kapitel ist dem Thema Licht gewidmet und ist – Achtung Wortspiel! – ein Highlight des Buchs. Hier lernt der Leser den gestalterischen Umgang mit Licht, um das Essen – oder wie Gissemann sagt: das „Food-Model“ – möglichst appetitlich in Szene zu setzen. Mit großer Sachkenntnis erklärt die Autorin die Verwendung von Tageslicht, Blitzanlage und Dauerlicht sowie den Einsatz von Diffusoren, Reflektoren, Aufhellern und Abschattern. Anhand der zahlreichen Behind-the-scenes- und Beispielfotos lässt sich jeder Set-Aufbau gut nachvollziehen.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Komposition von Food-Fotos: Bildformat, Perspektive, Kamerawinkel, Bildausschnitt, Drittel-Regel, Goldener Schnitt, Fokuspunkt, Blickführung, Bildstimmung, Räumlichkeit – all diese Themen werden anschaulich erläutert. Nebenbei erhält der Leser noch einen Crash-Kurs in Farbenlehre. Das Kapitel „Styling“ widmet sich dem kreativen Umgang mit Requisiten oder Props, wie sie im Fachjargon heißen. Food-Fotografen können so ziemlich alles gebrauchen, was ein Essen gut aussehen lässt. Die Autorin hat für Anfänger ein Kit mit 13 unverzichtbaren Props sowie ein Styling-Kit zusammengestellt, denn im zweiten Teil des Kapitels geht es um die Tricks der Food-Stylisten. Im praxisorientierten sechsten Kapitel lässt sich Gissemann über die Schulter schauen: Am Beispiel von fünf konkreten Food-Fotografie-Projekten, die ein komplettes Menü (Salat, Suppe, Hauptspeise, Dessert, Getränk) abdecken, kann der Leser den jeweiligen Vorbereitungs- und Umsetzungsprozess Schritt für Schritt nachverfolgen.
Kapitel 7 ist eine Einführung in Adobes Software Lightroom, mit der sich Fotos bearbeiten und verwalten lassen. Die Autorin erläutert ihren Workflow vom Datenimport über die Feinjustage von Schärfe und Kontrast bis hin zur Katalogsicherung. Das „Tipps und Tricks“ überschriebene achte Kapitel enthält noch einmal Kniffe rund ums Food-Styling, die auch im Kapitel „Styling“ gut aufgehoben gewesen wären. Kapitel 9 („Props selber machen“) spricht die Do-it-yourself-Bastler an, die ihre Unter- und Hintergründe und andere Requisiten gerne selber gestalten. Das zehnte Kapitel befasst sich mit dem schwierigen Thema der Inspiration und Ideenfindung. Gissemanns Aufforderung „Werden Sie unverwechselbar!“ (S. 215) liest sich so leicht, eine eigene Bildsprache zu entwickeln, ist jedoch meist ein langer Weg. Das abschließende elfte Kapitel stellt ein Übungskapitel dar, in dem der Leser das Erlernte anhand eines Obst-Stilllebens noch einmal vertiefen soll.
Unser Fazit: Das liebevoll gestaltete Buch ist Pflichtlektüre für jeden Food-Blogger. Sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene werden diesen praktischen Leitfaden mit Gewinn durcharbeiten können. Die reich bebilderten Beispiele sind gut gewählt und laden zur kreativen Nachahmung ein. Eins ist sicher: Sie werden Ihr Essen künftig mit anderen Augen – nämlich mit den geschulten Augen eines Food-Fotografen – sehen.
Corinna Gissemann: Food-Fotografie. Leckere Bildrezepte für Einsteiger, 240 Seiten, Format 18,7 x 24,6 cm, Softcover, EUR 29,90 (ISBN 978-3864902789)
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